Am 24.12.2020 – an Heiligabend – einigte sich die britische Regierung und Michel Barnier, Brexit-Chefunterhändler der EU-Kommission, auf den #BrexitDeal. Genau eine Woche vor dem nun wirklich mal finalen Stichtag [!sic] zum Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union wurde aber kein zweites Weihnachten. Vorweg: Das einzig Positive an dem Deal ist, dass für viele Branchen und BürgerInnen einige Punkte zumindest nun geklärt sind – obgleich zu einem hohen Preis für alle Seiten.
Großbritannien war nach den USA und Frankreich der drittwichtigste Handelspartner., nun bereits abgerutscht auf Rang 5. Alleine das Exportvolumen betrugt 2019 79 Milliarden Euro. Das man diese wirtschaftliche Stabilität so gut wie es eben geht gesichert werden soll, ist ein wichtiger Punkt. Er erklärt auch warum noch unter der Deutschen Ratspräsidentschaft ein Vertrag zustande gekommen ist.
Doch diese Handelsbilanz beinhaltet Punkte, die weder im 2018 verhandelten Ausstiegsvertrag noch im aktuellen Deal gegeben sind. Der Guardian kommentiert das Abkommen gar als Täuschung mit nachhaltigen negativen Auswirkungen von gut 4% auf das Britische BIP. Schottland will seine Weichenstellung nun direkt verschärfen, um schnellstens Teil der EU sein zu können. Wirkt sich ein Machtkampf Schottlands von Großbritannien etwa positiv auf einen Binnenmarkt aus? Ich denke nicht.
Nicht nur dieses Britische Innenpolitische Thema ist unklar, auch die Thematik Grenze zu Nordirland erweist sich als nur auf dem Papier klar. Die Britische Regierung mag hier eingeknickt sein, doch wie lange fühlt man sich an diesen Vertrag denn diesmal gebunden?
Auch dass Großbritannien das Erasmus+ – Programm verlässt ist eine für die Zukunft tragische Entscheidung. Das immer besser und beliebter werdende Bildungsprogramm ermöglicht Austausch und Wissen. An dieser Stelle sei nochmals erwähnt, dass Volt Europa sich gründete, da drei Studierende aus Italien, Frankreich und Deutschland vorhatten in London zu studieren und der Brexit die Frage aufwarf: Wird das noch gehen? Wie sich nun herausstellt: nein.
Erste Reaktionen in Großbritannien sehen diesen Teil des Deals ebenfalls kritisch, da Universitäten und Unternehmen von europäischer Bildungszusammenarbeit nun zukünftig fast nicht mehr profitieren: Studierende werden sich für andere EU-Länder entscheiden wo Sie die beliebte Förderung erhalten. Aus Dublin kommt postwendend ein positives Bekenntnis: Die Irische-Regierung hat bereits angekündigt die Studierenden aus Nordirland zu unterstützen.
Der Vertrag selber lässt offene Fragen weiter unbeantwortet und verschiebt die Klärung nur. Die ersten Reaktionen der Wirtschaft sind hier ebenfalls nicht ein Hurragebrüll. Wichtige Punkte sind dazu klar zum Nachteil der Europäischen Union und der BürgerInnen Großbritanniens. Hier eine Aufzählung der Punkte, die ich vor allem kritisch sehe:
- Ab 01.01.2021 unklare und enorme Steigerung der Bürokratie, z,B. neue Kontroll- und Ausfuhrformalitäten für Waren und Dienstleistungen
- Der Dienstleistungssektor ist nicht geklärt, z.B. Finanzdienstleistungen
- Ausstieg aus dem Erasmus+-Programm (siehe oben)
- Die bisher weitgehend automatische Anerkennung von Qualifikationen für die Ausübung von Berufen fällt weg. Sie muss jetzt von Fall zu Fall beantragt werden.
- Der Europäischer Gerichtshof ist nicht in Streitfragen zum Vertrag zuständig. Großbritannien ist an Entscheidungen des Gerichts zudem nicht länger gebunden.
- Die Fischerei wird Streitthema bleiben, da sowohl die Hardliner in Großbritannien als auch Frankreichs und Belgiens starker Fischereisektor hier unzufrieden sind, sowie in 5 Jahren neu verhandelt wird.
- Das Europaparlament, das als demokratische Instanz zustimmen muss, geht dabei als Verlierer aus den Verhandlungen. Weder die Forderung nach ausreichend Zeit für die Prüfung des Abkommens, noch eine ohnehin großzügig angesetzte Frist wurden am Ende berücksichtigt.
Dieser #BrexitDeal glättet vorerst die Wogen, doch die Diskussionen werden weitergehen. Es ist kein finaler Deal und die Auswirkungen werden zunächst in Großbritannien und den mit UK handelnden Unternehmen spürbar. Doch auch der wissenschaftliche und kulturelle Austausch wird dadurch stark eingeschränkt.
Hauptmanko: Schwächung der Demokratie
Am Ende wurde nun vor allem das Europäische Parlament brüskiert, damit es einen Deal gibt. Das Geld hat es mehr Gewicht erhalten als die demokratische Instanz, die darüber entscheidet. Ein Parlament sollte hier angemessen mitreden und entscheiden müssen. Nun erfolgt die Verabschiedung mit Zeitdruck und Zwang. Die letzten Jahre waren für die Einigung vorgesehen und der einzige Gewinner sind die konservativen Hardliner in Großbritannien, die nun einen bereits geschlossen Deal nochmals neu ausgehandelt haben.
Dieser Deal ist definitiv nicht perfekt, doch wenn die vormals zentralen Fragen weiterhin offen sind und vor allem Fristen und Abkommen nicht eingehalten werden, dann ist dass ein massives Problem, und damit ein schlechter Deal für alle Beteiligten.
Wir brauchen verlässliche Demokratie in Europa. Wir brauchen dazu auch verlässliche Abkommen und Verträge. Wir brauchen dazu ein Parlament dass auch als solche wertgeschätzt und behandelt wird – von allen Seiten.
Volt UK plant Rejoin Europa
Im September 2017 veranstaltete man eine Citizen Assembly. Darunter versteht man eine Versammlung von zufällig ausgewählten BürgerInnen und dazu Experten. Diese diskutierten Szenarien und Ergebnisse. Diese beiden Punkte waren das Ergebnis (Übersetzers Ergebnis):
- In Bezug auf den Brexit befürwortete die Mehrheit der Mitglieder der Versammlung ein maßgeschneidertes Handelsabkommen zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU, war sich aber darüber im Klaren, dass sie es vorziehen würden, wenn das Vereinigte Königreich im Binnenmarkt und in der Zollunion bliebe, anstatt die EU ohne Abkommen zu verlassen, falls sich ein solches Abkommen als unerreichbar erweisen sollte. Sie wollten, dass das Vereinigte Königreich die Freizügigkeit der Arbeitskräfte beibehält, aber die Kontrollen nutzt, die im Rahmen des Binnenmarktes möglich sind, und andere Änderungen vornimmt, die die Einwanderung reduzieren und ihre Kosten abmildern würden.
- Was die Demokratie betrifft, so hat die Versammlung gezeigt, dass deliberative Übungen wie diese auch bei stark polarisierten Themen sehr gut funktionieren können. Bürgerversammlungen und andere ähnliche Gremien verdienen es, beim Brexit und anderen Themen wieder eingesetzt zu werden, insbesondere dort, wo Probleme weithin anerkannt werden, aber Lösungen schwer zu finden sind.
Solche Versammlungen sind sinnvolle Möglichkeiten Wissen und Volksstimme in die Parlamente zu bringen. Leider nutzte die Britische Regierung diese Steilvorlage nicht. Übrigens: Volt Europa fordert solche demokratischen Formen für ganz Europa auf allen politischen Ebenen.
Nun also der Austritt, nicht ganz so hart, aber auch nicht wie gedacht. Der #Brexit ist noch lange nicht vorbei. Volt UK meldete sich daher auch am 24.12.2020 umgehend mit einer klaren Botschaft:
Großbritannien muss auch der Europäischen Union wieder beitreten. Dieser Deal ist nicht so gut, wie ein Mitglied der EU zu sein. Wir verlieren zu viel und deshalb ist der einzige Weg, der EU wieder beizutreten. Volt UK wird sich dafür einsetzen, dass das Vereinigte Königreich sofort wieder in die europäische Familie aufgenommen wird.
Volt UK https://voltuk.eu/volt-uk-rejoin-brexit-deal/
Ich werde sie dabei unterstützen. 51,89% der Britinnen stimmten damals für Leave, aber nicht alle für einen solchen Ausstieg. Es dürften nach dem Inkrafttreten des Abkommens wohl wieder viele Briten für den EU-Beitritt sein. Das klingt idiotisch und einerseits müsste man sagen “No, die Türe ist erstmal zu”. Doch viel wichtiger: wir brauchen ein starkes und gemeinsames Europa. Wenn die Mehrheit der Britischen Bevölkerung sich zu unseren Verträgen bekennen will, dann sollten wir die Türe aufmachen und herzlich sagen “Welcome back!”.
weitere Artikel :
- » Neuwahlen: Bereit, es besser zu machen! | 7. November 2024
» Europa muss sich auf Trump einstellen | 15. Juli 2024
0 Kommentare