Wir schreiben den 5. Juni 2002. Es ist 12:50 Uhr. In 40 Minuten spielt die deutsche Nationalmannschaft gegen Irland – bei der Weltmeisterschaft in Südkorea und Japan. Allerdings: Ich sitze im Religionsunterricht bei Frau B. Frau B. ist eine nette ältere Lehrerin und normalerweise sehr fair und „zu allem überredbar“. Heute hat sie aber irgendwas gegen uns. Sie will uns nicht in das Foyer lassen – dort wird das Spiel nämlich übertragen.
Ich kann mich leider nicht mehr an das Thema der Stunde erinnern. Ich war sehr angefressen. Stinksauer. Das war für mich ein handfester Skandal. Missmutig verfasste ich ein par Zeilen. Aus Frust und Überzeugung. Irgendwie schaffte es dieses unscheinbare Manifest in die Hände von Frau B. – und wir durften in das Foyer das Spiel schauen.
Vor kurzem fiel mir das Blatt wieder in die Hände. Einen Beitrag ist es allemal wert.
Fußball ist eine Religion
Fußball, eine Religion, ein Sport, ein Thema: eine Welt.
Wer nicht glaubt, dass Fußball eine Religion ist, der sehe sich als Atheist. Manche glauben an Gott, Allah, Jesus, den Koran, Buddha… doch ich glaube an Fußball.
Ich gehe nicht in die Kirche, ich gehe ins Stadion, ich singe kein „Halleluja“, ich singe „You’ll never walk alone“. Ich trinke keinen Wein, es gibt Bier und anstatt Hostie gibt es Rostbratwurst.
Man trägt kein Kreuz sondern den Schal, man liest nicht die Bibel oder den Koran, es gibt die Historie. Es gibt nur ´54, ´74 und ´90, keine 0-Geburt, keinen 24. Dezember und Ostern ist uninteressant.
Gemeinschaft zählt genauso, ob Christen oder Moslems, im Stadion steht jeder: Eine Religion für alle!
Das heiligste ist der Ball, das Himmelreich der Sieg, der Pokal die Erlösung, die Spieler die Götter.
Die Hoffnung stirbt zuletzt, der Stolz nie. Es gibt kein „Amen“ sondern „Tor“ und wer glaubt ich sei bekloppt, der soll wissen: Der Ball ist rund und Gott beschissen!
Warum ich die Ergebnisse der Paarungen vom Vortag noch auf das Blatt geschrieben habe, weiß ich leider nicht mehr…
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